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Jetzt folgen!In dieser Rubrik nehmen wir Dich mit auf Zeitreise und erkunden gemeinsam das historische Köln. Diesmal spazieren wir durch die Märchensiedlung in Holweide.
1922-1929
Manfred Faber und Wilhelm Riphahn
Letzte Einfamilienhaus-Siedlung der GAG
Fast alle Gebäude
Allein die Straßennamen der GAG-Siedlung in Holweide versprachen schon Ende der 1920er Jahre märchenhafte Romantik: Schneewittchenweg, Dornröschengasse, Rapunzelgässchen oder Drosselbartstraße. Fast alle Märchen der Gebrüder Grimm waren damals und sind auch heute noch auf den Straßenschildern vertreten. Nur eine Straße wurde nach einem Dichter und Schriftsteller benannt: Hans Christian Andersen, der für „Des Kaisers neue Kleider“ oder „Die kleine Meerjungfrau“ bekannt ist.
Bis heute ist die idyllische Märchensiedlung von einem romantischen Baustil geprägt. Verputzte, hübsche, kleine Einfamilienhäuser mit Sprossenfenstern und großen Gärten, Gassen aus Kopfsteinpflaster und eine alte Kastanie im Zentrum der Siedlung, in deren Schatten man sich auf einer Rundbank immer noch niederlassen kann – wer hier lebt, kann sich fühlen wie aus der Zeit gefallen.
Die Siedlung wurde 1922 bis 1929 südlich der Bergisch Gladbacher Straße errichtet und entstand im Zuge der rechtsrheinischen Stadterweiterung. Ihre ersten Häuser wurden schon 1920/21 an der Neufelder Straße gebaut. „Wohnen wie im Märchen“ war die wohnreformerische Idee hinter dem Siedlungsplan.
Der Architekt Manfred Faber war für die Pläne der rund 180 Einfamilienhäuser zuständig, wobei zwei Gebäude von Wilhelm Riphahn geplant wurden. Die Siedlung wurde auf dem früheren Gebiet des mittelalterlichen Ritterguts Iddelsfeld erbaut und hatte deshalb den Beinamen „Siedlung Iddelsfeld“.
Die Siedlung sollte individuell geplant wirken, als seien die Einfamilienhäuser über die Jahre hinweg entstanden, eines nach dem anderen. Dabei gab es in der Märchensiedlung im Grunde nur zwei verschiedene Haustypen mit ähnlichen Grundrissen: Eines mit fünf und eines mit sechs Räumen. Dem Architekten Manfred Faber gelang es aber, diese Typisierung perfekt zu verbergen, indem er Vor- und Rücksprünge innerhalb einer Häuserreihe einplante, Waschküchen dazwischen setzte und die Höhe der Gebäude variierte. Die Häuser haben unterschiedliche Dachgiebel und Türformen.
„Das ist die besondere Qualität dieser Architektur“, sagt der Geograph und Historiker André Dumont, der für die GAG die Sozialstruktur der Siedlung untersuchte und dafür alte Daten von Adressbüchern analysierte. „Faber schuf auf diese Weise keine monotonen Häuserreihen, sondern lockerte das Straßenbild auf – jedes Haus wirkt individuell geplant.“ Da die Siedlung wie natürlich gewachsen wirkt, könne man sie als nahezu perfekte Kleinstadtsiedlung beschreiben.
Auf dem Siedlungsgelände gibt es bis heute zahlreiche Gassen- und Straßenknicke sowie Kurven – auch das wurde bewusst von Faber angelegt, um Eintönigkeit zu vermeiden. Zudem konnte der Wind gut durch die Gassen fegen und für ausreichend Belüftung sorgen. Faber setzte mit der Planung von 200 bis 500 m² großen Hausgärten die Ideale der aus England stammenden Gartenstadtbewegung um.
Auch wenn nicht ganz gesichert ist, wie die GAG auf den Architekten Faber aufmerksam wurde, so gilt als sehr wahrscheinlich, dass den Entscheidungsträgern die Erftwerk-Siedlung in Grevenbroich sehr positiv aufgefallen war, die Faber geplant hatte und die 1919 gebaut wurde.
Manfred Faber stammte aus einer Karlsruher Kaufmannsfamilie und gilt neben Wilhelm Riphahn und Caspar Maria Grod als einer der wichtigsten Architekten der GAG. Er war unter anderem an der Planung der Naumannsiedlung in Riehl beteiligt. Er selbst lebte zeitweise in der GAG-Siedlung Terrassenweg, einer ehemaligen Künstler-Kolonie in Ehrenfeld. Er wurde 1918 Mitglied im Kölner Architekten- und Ingenieur-Verein, 1936 wurde er aus rassenpolitischen Gründen ausgeschlossen. Im Juli 1942 wurde Faber wegen seiner jüdischen Herkunft nach Theresienstadt deportiert und von dort nach Auschwitz gebracht. Hier wurde er 1944 ermordet.
„Die Siedlung in Holweide war von Anfang an für Bewohner mit mindestens mittlerem Einkommen gedacht, also für Beamte oder mittlere Angestellte, und eher weniger für Arbeiter und Handwerker“, sagt Historiker Dumont. „Damals zogen kinderreiche Familien ein, die Häuser waren also mit bis zu sechs Personen oft voller Leben.“ In einem von Wilhelm Riphahn geplanten Gebäude im Rapunzelgässchen lebte Friedrich Schmidt, der in den 1920er Jahren Direktor der GAG war. In einem der Adressbücher, die Dumont für seine Untersuchung analysierte, wurde er in den 1930er Jahren als „Direktor a.D.“ bezeichnet. Schmidt hat sich das stattliche Haus bewusst von Riphahn planen lassen, der ihm auch die Möbel entworfen hat. Es wurde auch „das Schlösschen“ genannt.
Gegenüber seiner Villa mit der Hausnummer 2 steht ebenfalls ein Riphahn-Gebäude mit Dachgauben und hübschem Giebel – zusammen wirken die Häuser wie ein kleines Rittergut. „Einerseits wirkt es patriarchalisch, dass der GAG-Direktor mitten in der Siedlung lebte, andererseits soll es aber auch so aufgefasst worden sein, dass er die Leistung der Planer und Erbauer wertschätzte – und eben auch seine Nachbarschaft“, so die Vermutung von Dumont. Zudem lebten mehrere Architekten in der Märchensiedlung, unter ihnen Otto Werres und Hans Derichs.
Früher faulenzten auf dem Platz am Rotkäppchenweg die Hunde in der Mittagssonne und die Kinder sausten über das Kopfsteinpflaster. Bis in die 1950er Jahre gab es dort auch ein kleines Feinkostgeschäft. Heute dient ein Großteil des Platzes als Parkplatz für die Autos der Bewohner. Aber die alte Kastanie und die hölzerne Rundbank sind immer noch da. Es ist auch heute noch sehr ruhig und idyllisch – auch wenn Autos zum Siedlungsbild gehören. Es ist aber unmöglich, in den engen Straßen und Gässchen schnell zu fahren.
1927 wurde die „Gemeinnützige Baugenossenschaft Iddelsfeld“ mit dem Ziel gegründet, den Bewohnern den Kauf der Häuser zu ermöglichen. Das war von Anfang an so vorgesehen. Heute ist die ganze Siedlung privatisiert. Seit 1980 steht die Märchensiedlung unter Denkmalschutz, deshalb ist die Architektur noch weitgehend so, wie sie ursprünglich geplant war, auch wenn es einige Veränderungen etwa an den Dächern oder Fassaden gegeben hat.
Die Märchensiedlung war die letzte Siedlung der GAG, die als Siedlung mit Einfamilienhäusern geplant wurde und die als Gartenstadtsiedlung gilt. In den Folgejahren wurden nur noch Mehrfamilienhäuser mit mindestens drei Stockwerken gebaut – wegen der Wohnungsnot, aber auch, weil Köln durch den Bau weiterer Einfamilienhaussiedlungen „zersiedelt“ worden wäre. Durch den Bau von Mehrfamilienhäusern sparte man Fläche ein und verhinderte einen Flickenteppich aus Siedlungsanlagen.
Die Recherche der historischen Fotos konnte mit freundlicher Unterstützung der SK Stiftung Kultur umgesetzt werden.
Text: Maria Hauser