Die Finalisten unterhalten sich Backstage

Euer Song für Köln – Einblicke in das Finale 2019

Diese Rubrik ist unserem Wettbewerb für Kölner Nachwuchsmusiker und -Bands gewidmet, den die GAG Immobilien AG alle zwei Jahre ausrichtet. Das große Finale von Euer Song für Köln 2019 – es ist Geschichte. Wir haben den zehn Finalisten vor, auf und hinter der Bühne zugeschaut und mitgefiebert.

Ralf Kautz ist ein bisschen hibbelig. Der Frontmann der Band WAT ESS!? hopst im Foyer der Volksbühne am Rudolfplatz von einem Bein auf andere. „Die Bühnentechnik sorgt für ein bisschen Ungewissheit“, sagt er. „Es muss zwischen den Auftritten ja wahnsinnig schnell gehen.“ Er begrüßt einen Bekannten – und noch einen, und noch einen. Für moralische Unterstützung aus dem Publikum ist offenbar gesorgt.

Ralf atmet tief durch. „Ob das alles so hinhaut?“ Er schüttelt MATHIAS NELLES die Hand, einem weiteren von insgesamt zehn Finalisten. Beide geben sich locker, doch die Nervosität ist ihnen anzusehen. „Ich glaube nicht, dass ich heute Abend was reißen kann”, unkt Mathias. „Aber ich bin trotzdem guter Dinge.“ Das sieht Ralf ganz genauso: „Es ist der Wahnsinn, dass wir überhaupt dabei sind. Übers Gewinnen denkt bei uns keiner nach. Wir freuen uns einfach nur auf den Auftritt.“

Wir haben uns eine Überraschung ausgedacht. Aber nicht verraten!
Marc Frensch

Im Backstage-Bereich wird weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit das Currywurst-Buffet eröffnet. Die meisten Künstler interessieren sich gerade nicht fürs Essen. Um einen Stehtisch haben sich UND WIEDER OKTOBER versammelt. Die mit sechs Akteuren zahlenmäßig größte Band des Abends – und außerdem die einzige, die weibliches Personal mitbringt – hat noch Besprechungsbedarf. „Wir haben uns was ausgedacht: Zum Ende des Songs wechseln wir alle unsere Instrumente und spielen am Bühnenrand ein rein akustisches Outro“, erklärt Sänger Marc Frensch. „Aber nicht verraten“

Dass WAT ESS!? beim Online-Voting ordentlich abgeräumt haben, hat sich mittlerweile herumgesprochen. MANUTA ist das aber gerade ziemlich wurscht. „Ich muss mich hier erstmal irgendwie zurechtfinden“, sagt er. „Wie läuft das mit dem Soundcheck?“ Die Jungs von SPRINTER wissen Bescheid und weisen dem rappenden Kollegen den Weg Richtung Bühne. „Wir hatten vor ein paar Tagen unseren ersten Auftritt mit unserem neuen Gitarristen“, erzählt Sänger Steffen Seifert. Und? Wie war’s? Gitarrenmann Sebastian Klaßmann antwortet selbst: „Sie haben mich noch nicht rausgeschmissen “

Man hätte wahrscheinlich eine viel größere Halle vollgekriegt.
Steffen Seifert

Vor der ehrwürdigen Bühne des ehemaligen Millowitsch-Theaters füllen sich die Plätze. Es ist ausverkauft. Die Kölner sind offenbar neugierig auf den musikalischen Nachwuchs ihrer Stadt. „Man hätte wahrscheinlich eine viel größere Halle vollgekriegt“, mutmaßt Steffen. „Als wir Tickets für unsere Leute bestellen wollten, waren schon alle weg.“

Durch die Bühnen-Katakomben klingen unverstärkte Gitarrenakkorde. In einer Nische vor dem Treppenaufgang gehen CHANTERELLA nochmal ihren Wettbewerbsbeitrag durch. Bassist Mario Metzler nickt freundlich, aber konzentriert. Seine Band hat gerade einen Plattenvertrag beim großen Kölner Label Pavement Records unterschrieben und gilt bei den meisten Kollegen deshalb als Favorit auf den Finalsieg.

Wir folgen Moderator Linus, der mit einer Handvoll Zettel mit Infos zu jedem Teilnehmer zur Bühne eilt, nach oben. Am Eingang steht MAX MADJE, die Gitarre um den Hals, die Augen geschlossen. Er hat die Startnummer eins gezogen und damit die etwas undankbare Aufgabe, den Anfang zu machen. „Ich bin ein bisschen aufgeregt“, sagt er und versucht ein Lächeln. Linus hat inzwischen das Publikum begrüßt und holt Max auf die Bühne. Der großgewachsene Hüne mit der Afro-Frisur stellt seinem Geburtsort ein etwas zweifelhaftes Zeugnis aus. „Köln ist eine der geilsten Städte der Welt. Es gibt Rassismus wie überall, aber hier ist er wenigstens lustig.“ Als er einmal als Jimi Hendrix im Karneval unterwegs gewesen sei, sei er von einem Türsteher zurechtgewiesen worden: „Du kannst rein. Aber das nächste Mal bitte verkleidet.“ Die Zuschauer lachen. Und spätestens, als er seinen Song mit einem Zitat vom „kölschen Jung“ beginnt, ist das Eis gebrochen. Beim Refrain klatschen alle mit.

Scharmöör ist das Gegenteil von ‘nem fiese Möpp.
Linus

SCHARMÖÖR, laut Linus das Gegenteil von ‘nem fiese Möpp, nehmen die Vorlage dankbar auf. Noch während des Umbaus, den eine professionelle 2-Mann-Crew für die in weinroten Anzügen gewandeten Jungs übernimmt, übt Sänger Leon Heidrich mit dem Publikum die Mitsing-Ohs ein, die dann während der Performance von „Ming Stadt“ auch prima klappen. „Alles sehr eingespielt“, notiert Linus lobend. Und überhaupt habe die musikalische Qualität dieses Wettbewerbs seit 2013 eine „tolle Entwicklung“ genommen.

Das wollen auch SPRINTER nachweisen, die Nummer drei. „Wir sind immer noch die Schülerband, als die wir uns mal gegründet haben“, wirbt Sänger Steffen um die Gunst der Zuhörer. „Nur etwas älter und haarloser.“ Die Charm-Offensive verfängt. Zum Ska-Intro von „Südstadtkönigin“ erheben sich die meisten Zuschauer aus den gediegenen Theatermöbeln und schwofen mit. Der Applaus fällt auffallend laut aus.

Im Dunkel des Bühnenrands sieht sich JÜRGEN SCHOCKMANN die Auftritte der Mitbewerber an. Er ist der Älteste im Teilnehmerfeld, hat viele Jahre in der Stammbesetzung der Altstadt-Jazzkneipe „Em Streckstrump“ auf dem Buckel. Und dennoch ist das heute eine Premiere für ihn. „Ich trete heute ganz allein auf, ohne Band, nur zum Playback“, schnauft er. Er wirft einen schnellen Blick in den Zuschauerraum: „Alles voll. Ich bin ganz schön nervös.“

Vor ihm ist erst noch MANUTA an der Reihe. Wenn Adrenalin die Raumtemperatur hochtreiben würde, wäre die Volksbühne jetzt ein Schnellkochtopf. MANUTA erteilt ein bisschen Aufklärungsunterricht: „Jeder MC ist ein Rapper, aber nicht jeder Rapper ist ein MC.“ Er sei ein Exot unter den Teilnehmern, Deutschrap aber längt Mainstream. Deshalb folge jetzt in der Volksbühne Volksmusik fürs Volk. Yo! Binnen weniger Takte bringt er das Publikum dazu, zum Beat von „Cool Colonia“ kräftig mit zu bouncen und zu singen.

JÜRGEN SCHOCKMANN staunt über das Reimgewitter: „Und ich mach’ mir Sorgen, dass ich meinen Text vergesse …“ Dann aber lässt sich der gelernte Heizungs- und Sanitärtechniker nicht lumpen, räuspert den selbst diagnostizierten „Herrenschnupfen“ beiseite und gibt dreieinhalb Minuten Vollgas. Dass er in den kurzen Sangespausen husten muss – geschenkt. Das Publikum feiert den Methusalem des Abends, wie es ihm gebührt.

20 Minuten Pause. Das Volk drängt an die Bar. Backstage rauchen die Juryköpfe. Mr. Tottler, der Gewinner des 2017er-Wettbewerbs, gibt derweil den Experten am Spielfeldrand. „Ich glaube, dass heute eine Band gewinnt“, orakelt er. „Als Band hast du einfach eine ganz andere Wucht als solo.“

Für Mr. Tottler und alle anderen Zuschauer gibt es Wahlkarten zum Abstimmen. Das Publikumsvoting geht zu einem Drittel in die Gesamtwertung ein – neben dem Online-Voting und dem Juryspruch. Mr. Tottler tippt auf SCHARMÖÖR oder CHANTERELLA. „Aber ich persönlich bin für MATHIAS NELLES.“

Ich hab’ jetzt echt Bock zu zocken!
Matthias Nelles

Der ist direkt nach der Pause an der Reihe und heiß wie Frittenfett. „Ich hab’ jetzt echt Bock zu zocken“, sagt er. „Das Warten dauert schon viel zu lange.“ Endlich darf er loslegen. Bevor er in die Saiten greift, dankt er seiner Frau Ricarda dafür, „dass sie das alles mitmacht.“ Sein Song Ich wünsch ich wör en Kölle“ zeichnet ein Horrorszenario: „Stellt euch vor, ihr wärt ganz weit weg von Kölle!“ Zum Glück gibt’s ein Happy-End – das Publikum klatscht dankbar.

Ruckzuck machen die fünf Stagehands von CHANTERELLA die Bühne startklar. Sie hatten den allerersten Auftritt überhaupt im August 2019 in der Kölner Theaterkneipe „Filmdose“. Rammelvoll sei es gewesen, berichtet die Band. „Alle waren da, aber wo warst du?“ Linus muss nicht lange überlegen: „Ich war einer von den 20, die krank waren.“ Sanfte Flächen bereiten den Boden für die folgende Power-Ballade. „Do bes die Leeder“ ist was fürs Herz, die Zuhörer lauschen ergriffen.

Ohne eingespielte Bühnen-Crew und deshalb mit etwas längerer Umbaupause folgen die graumelierten Herren von WAT ESS!?. Der Begrüßungs-Applaus fällt auffallend frenetisch aus. In „unfallfreiem Kölsch“ (O-Ton) kündigt Sänger Ralf eine „fiktive Drohung“ an: Was wäre, „Wenn et Kölle nit jöv“? Das will sich augenscheinlich niemand ernsthaft vorstellen. Schon während die Band ihre erdige Rockballade zelebriert, tönen Johlen und Jubelschreibe aus dem Publikum. Nach dem letzten Akkord bricht ein Begeisterungssturm los.

Kein leichtes Unterfangen für UND WIEDER OKTOBER, da noch eins draufzusetzen. Die „Könige der Stadt“, von denen die Band erzählt, laden mit einem eingängigen Refrain zum Mitsingen ein. Auch die „Überraschung“, das Songende mit Akustikinstrumenten, gelingt.

Für soviel Eingespieltheit muss die Band um BUNTERHUNGK Steve Barnes noch viele Bühnenbretter putzen. „Ich habe den Song ja noch ganz alleine aufgenommen und eingereicht“, erzählt er. „Das ist der erste Auftritt in Bandbesetzung.“ Es läuft nicht alles rund, aber sympathisch. Die bunten Hunde setzen einen erfrischenden Farbklecks ans Ende des Programms, bevor das große Auszählen beginnt.

In einem winzigen Separee im Backstage-Bereich kauern die sechs Jurymitglieder: Jörg Fleischer (GAG Immobilien AG), Mike Kremer (Miljö), Dr. Heike Sauer (Hochschule für Musik und Tanz, Köln), Michael Kokott (Jugendchor St. Stephan), Alexander Klaus (Music Store) und Sebastian Stein (Kölner Illustrierte). Zahlen schwirren durch die Luft, Mike notiert sie: „7“, „9“, „3“, „8“, „10“ … Gewertet wird in Kategorien wie „Musikalität“ oder „Kölnbezug“.

Auf den Gängen davor tuscheln die Künstler untereinander. „Ist nachher noch irgendwo Party?“ fragt einer. Die anderen zucken die Achseln. „Keine Ahnung.“ MAX MADJE und MANUTA diskutieren über den Zustand der Kölner HipHop-Szene.

Endlich ruft Linus die Finalisten geschlossen auf die Bühne. Das Ergebnis steht. Linus ist sich sicher, dass eine weise Entscheidung getroffen worden ist. „Bei drei Bewertungsfaktoren – Online-Voting, Publikumsvoting und Juryurteil – sollte das richtige Resultat zustande kommen.“

GAG-Pressesprecher Jörg Fleischer schleppt die Trophäen herbei: die Domspitzen in Bronze, Silber und Gold. Dann geht alles ganz schnell. Den dritten Platz schnappt sich MATHIAS NELLES, der das Votum mit großer Freude und einem hochroten Kopf quittiert. SCHARMÖÖR feiern ihren zweiten Platz mit einer Becker-Faust. Und Platz eins geht – eine Überraschung ist das zu diesem Zeitpunkt nicht mehr – an WAT ESS!?

Um ein Zitat im Sinne des HipHop-Dozenten MANUTA zu bemühen: Die alten Männer sind zurück. Und sie haben es allen gezeigt. Standing Ovations. Die Volksbühne bebt.

Text: Sebastian Züger

Fotos: Thilo Schmülgen

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