Neu in der
Nachbarschaft?
Stelle Dich jetzt den Menschen von nebenan vor.
Schreib uns!In dieser Rubrik treffen wir Menschen, die Dir in Deiner Nachbarschaft begegnen könnten. Adrian Savulescu ist Sprayer, in Kalk zu Hause und gibt an Schulen Kurse, die von der GAG unterstützt werden.
Adrian Savulescu
21. März 1975
Künstler und Koch
Anfang der 1980er Jahre
Kalk
in seinem Schrebergarten
„Mich faszinieren die Formen, Farben und Funktionen der Natur, ich bin sehr naturverbunden. Was für effiziente Maschinen Käfer zum Beispiel sind! Was ich sehe, versuche ich in Schriftzüge zu transformieren. Selbst auf die kleinste Fläche können 3-D-Schriftzüge Räumlichkeit bringen!
Es gab Zeiten, in denen es für mich 24 Stunden am Tag um Graffiti ging. Faszinierend finde ich, dass man beim Sprayen die Farbe ohne direkte Berührung der Wand aufträgt. Als Kunstform ist Graffiti für mich immer noch ein Wunder: All das, was die großen Meister mit Ölfarben hinbekommen haben, kriegt man mit der Dose auch hin, egal, wie groß das Format ist!
Im Baufeld 12, dem Künstlerprojekt in Kalk, für das die GAG einige Monate lang leerstehende Wohnungen zur Verfügung gestellt hat, habe ich viele Kindermotive gemalt. Sie sind für meinen Sohn Eliah, der vor anderthalb Jahren geboren wurde. Sie verschwinden, wenn die Häuser abgerissen und neu gebaut werden – aber wir Sprayer sind daran gewöhnt, dass Graffiti keine langlebige Kunst ist, schon deshalb, weil auf legalen Flächen jeder arbeiten darf und vieles bald wieder übermalt wird.“
„In den 90er Jahren hatte ich in Kalk noch Angst, inzwischen wohne ich hier. Der Stadtteil hat sich riesig verändert, seitdem die Köln Arcaden und das Polizeipräsidium hier sind. Ich begrüße das sehr. Jetzt gibt es hier eine gesunde Mischung vieler Nationalitäten. Junge Familien sind genauso unterwegs wie Anzugträger, und es gibt viele engagierte Menschen.“
„Ich habe schon Graffitis gesprüht, als ich noch in Dellbrück wohnte und in Mülheim auf das Hölderlin-Gymnasium ging. In der Oberstufe war es für mich das Größte, nachts rauszugehen und auf alles zu sprayen, was ich von der Bahn aus auf dem Weg zur Schule sehen konnte: Stromkästen, Garagen, Gartenzäune. Morgens, wenn ich zur Schule fuhr, habe ich mich dann heimlich darüber gefreut.
Meine Mutter hätte davon nichts wissen dürfen! Wir stammen aus Rumänien, wo mein Vater Rechtsanwalt und meine Mutter Lehrerin war. Es war ihr sehr wichtig, dass mein Bruder und ich uns hier gut integrierten. Sie hätte sich auch gewünscht, dass ich studiere und die Familientradition als Akademiker fortsetze. Stattdessen bin ich aber Koch geworden und habe in verschiedenen bekannten Kölner Lokalen gearbeitet: im Hallmackenreuther, in der Bar Tabac und bei der Kaiserschote. Parallel dazu habe ich immer gesprayt.
Inzwischen habe ich die Gastronomie weitgehend aufgegeben und bin hauptsächlich Graffiti-Künstler. Ich werde zum Beispiel von Privatleuten beauftragt. Wenn meine Arbeiten für Wohnräume gedacht sind, sprühe ich sie nicht auf die Wand, sondern arbeite auf Leinwänden, damit die Farbdämpfe erst einmal verfliegen können, bevor die Bilder an ihren Platz kommen. Außerdem gebe ich an Hauptschulen Kochkurse und Kurse für Maler und Lackierer.“
„Leider gibt es noch immer sehr viel Ungleichheit in Köln. Ein Kind in Lindenthal wächst anders auf als ein Kind in Kalk. Bei meinen Kursen sehe ich das regelmäßig. In einer Schule gibt es Beamer und für jedes Kind ein iPad, in einer anderen streichen die Schüler Klassenzimmer und Hausflure selbst, weil die Gebäude so marode sind, und konnten das Homeschooling nur am Handy mitmachen, weil sie gar kein anderes Gerät haben.
Man nimmt in Kauf, Generationen ins Leben zu schicken, die berechtigterweise Träume und Wünsche haben, die sich höchstwahrscheinlich nicht erfüllen werden. Das ist Mist.“
„Ich versuche, den Kindern, die am wenigsten Perspektive haben, das meiste mitzugeben. Wenn jemand in einem Kurs ein Projekt aufgeben will, dann sage ich: ‚ Sieh‘ es als Übung an dich durchzubeißen und Hindernisse zu überwinden. Und denk daran zurück, dass Du Hindernisse schon mal überwunden hast, wenn du wieder vor einem stehst. ‘
Beim Malen stelle ich den Schülern Dreisatzaufgaben, erkläre ihnen, wie sie ausrechnen können, ob sie früher Feierabend machen können oder sich beeilen müssen, um fertig zu werden. Ich sage ihnen: ‚Ihr müsst vernünftig Deutsch sprechen und Mathe können, sonst nimmt man euch nicht ernst!‘ Es ist traurig, aber einige müssen mehr machen als andere, weil sie weniger Chancen haben.“
„Früher war mein Anspruch an mich selbst als Sprayer: Freu dich an deiner Arbeit! Inzwischen möchte ich aber zunehmend politisch arbeiten und mit meiner Kunst Menschen bewegen. So ist auch mein Projekt zur letzten Ausstellung, die wir im Baufeld 12 hatten, bevor wir die Ateliers geräumt haben: Da habe ich Gedanken zum Krieg in der Ukraine verarbeitet.“
„Ich zeige zum Beispiel das Gesicht von Putin auf Tortenuntersetzern. So sehe ich ihn, eingerahmt von dieser merkwürdigen Kaffeekränzchenspitze, wie einen Zar. Auf einem Treppenabsatz liegt Spielzeug, über den Stufen und an der Wand blutrote Farbe, Verbandsmaterial, Bilder von Bombern.
In einer der Wohnungen zeige ich im leerstehenden Kinderzimmer meine Bilder ‚Die inneren Kinder der Protagonisten‘. Da habe ich über Fotos von schreienden, weinenden Kindern Folien mit den Gesichtern von Putin und Selenskyj gelegt. Ich glaube, so sieht es in ihnen wirklich aus.“
„Mein Ziel war, dass die Leute verstört sind, wenn sie wieder gehen, und ich glaube, das ist mir auch gelungen. Dieser Krieg ist so omnipräsent und so unvorstellbar. Zu den politischen Arbeiten hat mich auch das Baufeld inspiriert. Ich schätze den Austausch mit vielen anderen Künstlern, der hier möglich war – auch mit Künstlern aus ganz anderen Sparten. Man entdeckt neue Gedankenansätze, wenn man den Blick des anderen zulässt.“
Text: Johanna Tüntsch