Leben und Wohnen im Kölner Veedel Worringen
Foto: Thilo Schmülgen

Köln? Hier ist Worringen!

In dieser Rubrik betrachten wir das Leben und Wohnen in Köln. Chemische Industrie auf der einen Seite, Naturschutzgebiete auf der anderen, in jedem Fall aber weit weg vom Dom: Das ist Worringen, der nördlichste Zipfel Kölns. 

Worringer Jakob Mildenberg

„Mit der Chemie kommen wir gut klar“

Kürzlich ist es wieder passiert. Ein hochsommerlicher Sonntagabend, die Grillen zirpen. Plötzlich ein lauter Knall, weithin zu hören, und ein heller Feuerschein. Fast überall sonst wäre die Aufregung groß. Nicht so in Worringen. „Wir kennen das”, sagt etwa Jakob Mildenberg, der mit seiner Frau in einem Häuschen in der Nachbarschaft lebt. „Mit der Chemie kommen wir gut klar.” Er weiß, wovon er redet, lebt er doch schon seit 60 Jahren in dem Stadtteil. Immer mal wieder zerspringt in den angrenzenden Werken des Ineos-Konzerns eine Berstscheibe – in ihrer Funktion vergleichbar einer Sicherung in elektrischen Anlagen – und nimmt so Druck aus dem Gesamtsystem. Aus Erdöl stellen sie hier Rohprodukte wie Ammoniak, Salpeter, Butan oder Propylen her. Sie dienen zur Weiterverarbeitung in alltäglichen Gebrauchsgegenständen, die Plastik und ähnliche Stoffe enthalten. Die Beschichtung des Getränkekartons beispielsweise, aus dem am Morgen die Milch für den Kaffee kommt, stammt wahrscheinlich aus Worringen.

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Ehrenamtlicher Landschaftwart Herbert Jansen

„Ein Sandstrand wie auf Mallorca“

Bis weit nach Dormagen zieht sich das Areal. Doch man täte dem nördlichsten Stadtteil Kölns Unrecht, würde man ihn auf die Petrochemie reduzieren. Dafür ist es hier einfach viel zu schön. Drei Naturschutzgebiete rahmen das Veedel mit seinen rund 10.000 Einwohnern ein: die Rheinaue im Osten, der Bruch im Süden und der Chorbusch im Westen. „Einen Sandstrand wie auf Mallorca” attestiert Herbert Jansen dem Worringer Ufer in diesem trockenen Sommer, in dem sich der Rhein weit zurückgezogen und reichlich Liegefläche für Sonnenanbeter freigegeben hat. Die monumentalen Schlote des Chemiewerks am nördlichen Horizont allerdings, die haben die Balearen nicht zu bieten.

Jansen ist ausweislich seines Fleece-Pullis Landschaftswart für die Rheinaue. Ein Ehrenamt, das der ehemalige Ineos-Mitarbeiter seit seiner Pensionierung vor rund 15 Jahren mit großer Begeisterung ausübt. „Ich dokumentiere die Entwicklung hier und gebe eventuelle Probleme an die Behörden weiter”, erklärt er in schönstem rheinischen Singsang. Es ist ihm eine liebe Angewohnheit geworden, den Blick über die auch im Spätsommer noch grüne Aue schweifen zu lassen und die Vögel zu beobachten, darunter seltene Arten wie Kiebitz oder Wiesenpieper. Die blühenden Wiesen mag er besonders: „Jede Woche eine andere Farbe, ein anderes Bild.”

Probleme? Gibt es wie überall auf der Welt auch in diesem offenbar nur scheinbaren Idyll, aktuell etwa um das seit einiger Zeit im Hinterland des Ufers grasende Rindvieh. Der Zaun um die Weidefläche sperrt nicht nur die Tiere ein, sondern auch die Anwohner aus. Zumindest empfinden einige das so, darunter auch Jakob Mildenberg, einstmals Arbeitskollege Jansens bei Ineos. „Wir haben uns damals alle sehr gefreut, als die Rheinaue zum Naturschutzgebiet erklärt wurde“, sagt er. „Aber jetzt übertreibt man es und lässt uns nicht mehr ans Ufer.“ Jansen hingegen findet den Zaun und die Beweidung im Sinne der Landschaftspflege richtig. Fehlerhaft hingegen sei die Informationspolitik der Stadt gewesen: „Plötzlich stand der Zaun, die Infoveranstaltung dazu kam viel zu spät. Da waren alle schon auf hundertachtzig.“

Mögen die zwei Herren in diesem Punkt nicht einer Meinung sein – ihren leicht resignierten Blick auf das ferne Treiben rund um den Dom haben die beiden Ur-Worringer gemeinsam. „Die Stadt Köln nimmt uns nicht für voll“, sagt Mildenberg. Anstatt, wie bei der Eingemeindung 1922 versprochen, Infrastruktur aufzubauen, wird alles weniger. Es fährt keine Straßenbahn nach Worringen, es gibt kein Schwimmbad, die Versorgung mit Kitas und Schulen ist mangelhaft, zumal gleichzeitig fleißig Wohnraum gebaut wird. „Wenn mir noch was Positives einfällt, ruf‘ ich an“, verspricht Mildenberg zum Abschied.

Anna Kubisa und Vassilios Touplikiotis vom Krebelshof

Eine echte „Sozialraum-Immobilie”

Früher, bis in die Nuller Jahre des laufenden Jahrhunderts, kannten die Kölner Worringen noch für etwas anderes als Chemie und Natur: den Krebelshof. Bekannte Bands und Künstler fanden hier bis zur vorläufigen Schließung 2013 eine Bühne. Die Einheimischen vermissen besonders den lauschigen Biergarten.  „Hilft nichts, eine Gastro können wir ihnen nicht bieten”, sagt Vassilios Touplikiotis und zuckt die Achseln. Er leitet den Jugendtreff, der in den noch nutzbaren Teilen des verfallenden Gutshofs Heimat gefunden hat. Auf rund 100 Jugendliche zwischen Einschulung und Spätpubertät schätzt seine Kollegin Anna Kubisa das Stammpublikum, das sich am Billardtisch, im Tonstudio oder in der offenen Küche trifft.

Eine echte „Sozialraum-Immobilie” also, findet Touplikiotis, und in einem speziellen Bereich sogar von überregionaler Bedeutung: Viermal im Jahr tagt hier die KerunCon, die  „Cosplay Convention Cologne”. Aus ganz Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus treffen sich dann im Krebelshof Anhänger dieser aus Japan stammenden Popkultur.  „Die Idee kam von den Jugendlichen selber”, sagt Kubisa. „Und das unterstützen wir natürlich.” „Kerun” ist übrigens Japanisch und bedeutet  „Köln”. Besteht also doch noch Hoffnung für die innerstädtischen Beziehungen zwischen Köln und Worringen?

Text: Sebastian Züger