Leben und Wohnen im Kölner Veedel Ostheim
Foto: Thilo Schmülgen

Ostheim. Eine Kreuzung und 13 gallische Dörfer.

In dieser Rubrik betrachten wir das Leben und Wohnen in Köln. Alles andere als gefällig: das ist Ostheim. Doch hinter den mal grauen, mal grünen, mal bunten Fassaden finden sich Menschen, die sich mächtig für ihren Stadtteil ins Zeug legen.

Es geht ein Kreuz durch Ostheim. Zwei große Verkehrsadern im Rechtsrheinischen – die Frankfurter und Ostheimer/Rösrather Straße – teilen die knapp 14.000 Bewohnerinnen und Bewohner räumlich auf vier Viertel auf.

Rolf Blandow vom Veedel e.V.

„Ostheim ist aus 13 gallischen Dörfern gebildet worden“

Spricht man mit Rolf Blandow, dem Geschäftsführer des Veedel e.V. und langjährigen Sozialraumkoordinator, sind es der einzelnen Teile gar noch mehr: „Ostheim ist aus 13 gallischen Dörfern gebildet worden“, erklärt er. „Da ist es eine große Herausforderung, eine einheitliche Identität zu entwickeln.“ Genau das sieht er seit seinem Amtsantritt 1997 als seine Aufgabe: „Mit den Menschen hier vor Ort zu arbeiten, Gemeinsamkeiten zu entdecken und weiterzuentwickeln.“

Für den oberflächlichen Betrachter sind solche Gemeinsamkeiten tatsächlich schwer auszumachen. Rund um den De-facto-Ortskern an der KVB-Haltestelle tobt das Leben in all seiner Vielfältigkeit, ohne wirklich einen Ort zu haben. Zur Rushhour bilden sich Richtung Mülheim lange Staus, eine nicht eben einladende Kulisse für Café-Betreiber und Gastronomen. Dennoch stellen sie tapfer ihr Außenmobiliar auf die Bürgersteige – und tatsächlich: Sie finden Kundschaft.

Mitten im Trubel an der Bahnschranke, die sich gerade wieder schließt, fällt ein Plakat an der Fensterscheibe des Backwaren-Filialisten auf. Im bescheidenen DIN-A4-Format ruft es zur Teilnahme am nächsten „Fotowettbewerb Köln-Ostheim“ auf. Es scheint also Menschen auch jenseits der engagierten Sozialpädagogen des Veedel e.V. zu geben, die an ein einiges Ostheim glauben.

Gesine Habermann von Lebensräume in Balance

„Ostheim ist schön. Man muss nur genau hinsehen“

Gesine Habermann ist eine der Ausrichterinnen des Wettbewerbs, dessen Ansichten im nächsten „Ostheim-Kalender“ zu finden sein werden. 2017 ist sie aus Sülz über den Rhein gezogen, weil ihr das Konzept des Mehrgenerationenwohnens im neuen Waldbadviertel gefallen hat. „Im Alter will man nicht allein sein“, sagt sie. „Hier lebt man mit Menschen unterschiedlichen Alters zusammen und hat drumherum viel gute Luft, viel Wald und viel Platz für Treffen.“

Vor ihrem Zuzug kannte sie Ostheim nur aus den Medien. Die Siedlung an der Gernsheimer Straße gilt als eine der ärmsten Kölns und produziert selten erfreuliche Schlagzeilen. Habermanns Erinnerungen an ihren ersten Besuch in Ostheim sind zwiespältig. „Kein Ortskern, kaum schöne Fassaden – aber die Siedlung mit den grünen Häusern fand ich toll.“ Gemeint ist die Siedlung am Buchheimer Weg. 2018 brachte der Verein Lebensräume in Balance, dem Habermann vorsteht, erstmals den Fotokalender heraus. „Wir wollten was tun und was mitkriegen von unserer Umgebung“, erklärt sie. „Ostheim ist schön. Man muss nur genau hinsehen.“

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Künstler Marcel Odenbach

„Ostheim hat sich sehr verändert“

Manchmal verbirgt sich diese Schönheit hinter einer Pforte. Direkt an die Haltestelle Ostheim grenzt das Areal des ehemaligen KVB-Kraftwerks, einem denkmalgeschützten Bau aus der Gründerzeit. Hier lebt seit 1984 der Künstler Marcel Odenbach, international renommiert, unter anderem für seine beeindruckenden Collagen. Eine davon hängt in seinem Arbeitszimmer, einem hellen, loftartigen Raum mit hohen Decken. Sie zeigt ein Palmenmotiv und weist damit auf die Leidenschaft des Künstlers für schönes Grün. Im Hinterhof hat er über die Jahre einen Garten angelegt.

„Ostheim hat sich sehr verändert“, sagt Odenbach. „Als ich in den 1980er Jahren hierher kam, war das ein Dorf mit hoher Lebensqualität, einer funktionierenden Infrastruktur und vielen Menschen, die sich mit ihrem Viertel identifiziert haben.“ Davon sei viel verloren gegangen. „Metzger, Drogerie, Sparkasse – alles weg. Dafür jede Menge zubetonierte Vorgärten.“

Die Vielfalt der Hintergründe und Herkünfte habe es auch damals schon gegeben: „Das hat mich angezogen. Aber heute stehen sich viele Menschen mit ihren Lebensentwürfen unversöhnlich gegenüber. Das spürt man.“

Rolf Blandow kennt solche Analysen. Sich damit abzufinden, wäre gegen seine Natur. „Diese Entwicklungen passieren gesamtgesellschaftlich, die sind nicht nur in Ostheim zu beobachten. Ich habe den Eindruck, dass sich die Menschen in Ostheim bei aller Diversität mit großer Toleranz begegnen – und das trotz aller persönlichen Belastungen und Sorgen.“

Umso wichtiger also, gegen die fortschreitende Spaltung der Gesellschaft anzuarbeiten – in Ostheim ebenso wie überall: „Wir müssen benachteiligte Menschen in Entscheidungsprozesse reinholen. Bei der Sanierung der Grünen Siedlung hat das super funktioniert.“ In der Gernsheimer Straße aber müsse mehr passieren. „Der schlechte Ruf der Siedlung blockiert die Entwicklung von ganz Ostheim.“ Erfolge wie der neue Spielplatz am Ostheimer Berg fänden deshalb zu wenig Beachtung.

Aber Blandow und die mehr als 30 Mitarbeitenden des Veedel e.V. machen unbeirrt weiter. Der Neubau der Jugendeinrichtung, die derzeit von einem orangenen Container aus rund 800 Kinder und Jugendliche betreut, ist politisch beschlossene Sache. „Es geht vorwärts“, findet Blandow. „Nicht so schnell, wie wir es uns wünschen würden, aber peu à peu.“

Arbeitsplätze für Geringqualifizierte müssten her, um die Erwerbslosigkeit im Ostheimer Norden zu bekämpfen. Mit Event-, Catering- und handwerklichen Angeboten bemüht sich der Verein auch hier um den Aufbau nachhaltiger Strukturen. Sogar für die lästigen Rückstaus auf der Frankfurter Straße hätte Blandow eine Lösung: „Da muss ein Tunnel her!“ Und zur Einweihung gäbe es ein Hupkonzert – von allen Autofahrenden aus den 13 gallischen Dörfern.

Text: Sebastian Züger