Leben und Wohnen im Kölner Veedel Klettenberg
Foto: Thilo Schmülgen

Klettenberg. Wozu nach Casablanca?

In dieser Rubrik betrachten wir das Leben und Wohnen in Köln. Halbkreisrund zieht sich mit schickem Altbaubestand die Siebengebirgsallee durch ein Veedel, das eher hanseatische Noblesse verströmt als kölsche Feuchtfröhlichkeit. Die Klettenberger mögen das – wenn auch nicht alle.

Natürlich stimmt, was der Stadionsprecher des Effzeh vor jedem Heimspiel verkündet: „Willkommen in der schönsten Stadt Deutschlands!“ Allerdings widersprächen wohl weder Stadtobere noch die Ultras auf der Hans-Schäfer-Südtribüne der Feststellung, dass sich Kölns Schönheit zumeist erst auf den zweiten oder dritten Blick erschließt.

Doch auch in Köln gibt es einen Ort von geschmackvoller Geschlossenheit, ein bauliches Ensemble fast wie aus einem Guss, besungen vom lebensbejahenden Gezwitscher der Amseln und Zilpzalps in den Baumkronen pittoresker Vorgärten: Klettenberg.

Allerdings scheint sie auch hier durch, die kölsche Dialektik: Das vielleicht schönste Veedel der schönsten Stadt Deutschlands trägt einen Namen, der anderswo bestenfalls einer Mülldeponie genügte.

Anwohnerin Eva-Maria Michel

„Alle wollen hier wohnen“

„Alle wollen hier wohnen“, hat Eva-Maria Michel in den 18 Jahren ihres Klettenberger Daseins herausgefunden. Gut 10.000 Menschen aus Köln ist dieses Privileg gegenwärtig vergönnt, viel mehr Platz bieten die – vom Klettenbergpark mal abgesehen – weitgehend bebauten 1,8 km² zwischen Gottesweg und Militärringstraße eben nicht. Eva-Maria – gebürtige Schweizerin, Klinik-Clownin und Life-Coachin – und ihren Ehemann ereilte diese Gunst einst durch das Votum ihrer heutigen Nachbarschaft im schmucken Altbau an der Siebengebirgsallee: „Unseren Vermietern ist es wichtig, dass die Hausgemeinschaft funktioniert.“

Eine weitere Besonderheit des vielleicht schönsten Kölner Veedels: Nur rund 7,5 Prozent (Stand 2019) der Klettenberger haben keinen deutschen Pass. Kölnweit liegt der Anteil ausländischer Einwohner bei knapp 20 Prozent.

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Anwohner Peter Claessens

„Klettenberg ist ein bisschen abgehoben“

Ausländische Wurzeln haben aber viele. Neben Eva-Maria Michel auch Peter Claessens. „Klettenberg ist ein bisschen abgehoben, fast schon bourgeois“, urteilt der gebürtige Maastrichter, der zuvor unter anderem in Amsterdam und Nippes gelebt hat. Im Gegensatz zu solchen „lebendigen Volksvierteln“ passiere in Klettenberg so gut wie nichts. „Hier sitzen – abgesehen vom Café Laura – nur alte Leute in den Cafés. Da kann ich auch zu Hause bleiben.“

Dort schreibt der Autor und Publizist derzeit ein Buch über die weiblichen Seiten in der Philosophie Friedrich Nietzsches. Der ist zwar zeitlebens nicht als Frauenversteher auffällig geworden, hat sein Fach aber grundlegend revolutioniert. Einen derart disruptiven Geist vermisst Peter in Köln. „Es ist doch wichtig, die eigene Weltsicht ständig auf die Probe zu stellen. Aber in Köln scheint alles immer nur so weiterzugehen wie bisher.“ Dabei sei die Stadt in Teilen so hoffnungslos rückständig, etwa in der Verkehrspolitik, dass sich dringend etwas tun müsse.

Ein treffendes Beispiel dafür findet Peter direkt vor dem Fenster: die Luxemburger Straße. „Schrecklich. Da müssen wir mit unseren Kindern immer drüber.“ Als lärmende Schneise begrenzt sie das Klettenberger Idyll. Dass es anders und besser geht, hat Peter in seinem Geburtsland erlebt: „In den 1980ern in Amsterdam haben sich auch alle beschwert, als die Stadt für Fußgänger und Fahrradfahrer umgebaut wurde – heute sind alle froh.“

Latif Chikane vom Petersberger Hof

„Ich kann nichts Schlechtes sagen“

Froh zu sein bedarf es bisweilen allerdings nicht allzu viel. Latif Chikane ist ein guter Beleg für diese sprichwörtliche These. Mitte der 1990er Jahre kam der studierte Sportlehrer aus Marokko über Tunesien, Spanien und Frankreich nach Köln – der Liebe wegen. Er wurde Köbes im Petersberger Hof und über die Jahre eine Art Klettenberger Original. „Mich kennen fast alle“, sagt er gut gelaunt und bietet freimütig seine Unterstützung an: ob bei der Wohnungssuche, an den Kochtöpfen der Kölner Haie oder als Tenniscoach. „Ich helfe immer.“

Anders als Peter, der kritische Philosoph, sieht Latif sein Veedel weitgehend rosarot. „Ich kann nichts Schlechtes sagen.“ Na gut, das Wohnen könnte günstiger sein, die Sonne etwas häufiger scheinen – aber sonst? „Früher dachte ich, als Rentner gehe ich wieder zurück nach Casablanca“, sagt er. „Heute denke ich: wozu?“

Eva-Maria, die Schwizzer Kölnerin, gibt ihm Recht: „Ich habe nie damit gehadert, hier hängengeblieben zu sein.“ Und wenn die Luxemburger Straße unweit des Wohnzimmerfensters doch einmal zu sehr nervt, findet sie Ruhe im Schrebergarten an der Rhöndorfer Straße. Und weiß wieder: „Es ist ein Segen, hier zu wohnen.“

Text: Sebastian Züger