Leben und Wohnen im Kölner Veedel Neubrück
Foto: Thilo Schmülgen

Neubrück. Sehr angenehm.

In dieser Rubrik betrachten wir das Leben und Wohnen in Köln. Diese, O-Ton, „Insel aus Hochhäusern umgeben von Bungalows“ beherbergt bereits in der dritten Generation mehr als 8.000 Menschen, die mehrheitlich einen zufriedenen Eindruck machen. Dafür, dass das so bleibt, wird im Stadtteil allerdings hart gearbeitet.

Rentner Martin Klein

„Ich fühl’ mich wohl hier. Immer noch“

Um 1960 war’s. Wohnraum war in Köln auch damals schon gefragt. Und so beschloss der Rat der Stadt, auf dem Gelände des ehemaligen Fliegerhorsts Ostheim eine Siedlung für bis zu 15.000 Menschen zu errichten. Die Grundsteinlegung muss eine Riesensause gewesen sein. Auch der damalige Bundesbauminister Paul Lücke rückte an und rief das Wohnquartier in Anwesenheit des Altbundeskanzlers zur „Konrad-Adenauer-Stadt“ aus. Im Überschwang hatte er allerdings versäumt, die lokalen Entscheidungsträger um ihr Einverständnis zu bitten. Die reagierten verschnupft und rächten sich mit dem vergleichsweise schmucklosen Namen „Neu-Brück“.

Martin Klein, Jahrgang 1946, kann über diese ollen Kamellen heute noch schmunzeln. 1968 bezog er mit Frau und drei Kindern eine der frisch vollendeten Neubauwohnungen in Kölns 85. Veedel. Wir begegnen ihm zufällig vor der Stadtbücherei auf dem zentralen Marktplatz. Unterm Arm trägt der Rentner, der unter anderem bei Ford und der KVB schaffte, ein Buch der Geschichtswerkstatt. „Ich hab‘ mich schon immer für das interessiert, was vor meiner Haustür passiert.“ Und auch dahinter: In mehreren Mietshäusern war er als Hausmeister tätig. Heute freut sich Klein über die nach wie vor kurzen Wege zu den Nahversorgern und zur Naherholung: „Ich bin mit dem Rad in drei Minuten im Königsforst.“ Allerdings diagnostiziert er ein nachlassendes Gemeinschaftsgefühl im Stadtteil: „Das Zusammenleben war früher besser.“ Trotzdem: „Ich fühl’ mich wohl hier. Immer noch.“

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Vorsitzende des Bürgervereins Sylvia Schrage

„Alle Bürgervereine erzählen dasselbe“

Das wird Sylvia Schrage gerne hören. Die Mutter zweier Teenager hat vor mehr als 20 Jahren aus Unna nach Neubrück eingeheiratet, ihr Mann ist hier geboren. Als Vorsitzende des Bürgervereins ist sie so etwas wie die Bürgermeisterin des Stadtteils, obwohl es das Amt gar nicht gibt. Die Neubrücker Identität versuchen sie und ihre Mitstreiter im „Treff im Pavillon“ – kurz TIP, den Räumen des Bürgervereins mitten im Zentrum - mit einer Vielzahl von Aktivitäten zu stärken. Dazu zählen beispielsweise der Wohndialog, der Anwohnerinnen und Anwohner mit Polizei, Verwaltung und Vermietern ins Gespräch bringt, oder eine Taschengeldbörse, die Jugendliche und Senioren zusammenführt. Auch bei der „Adelheidiade“, dem alljährlich stattfindenden Stadtteilfest, mischt Schrage mit.

Mehr als jeder zweite Neubrücker hat einen Migrationshintergrund. Das Miteinander der Nationalitäten beschreibt Schrage trotz gelegentlicher Konflikte zwischen den Kulturen als „sehr angenehm“. Dazu trägt ein Umstand bei, der die etwas in die Jahre gekommene Wohnanlage zum Zukunftsmodell für überzeugte Fußgänger und Fahrradfahrer macht: „Wir sind seit Anbeginn autofrei, und wir kämpfen dafür, dass das auch so bleibt.“

Wie in anderen Stadtteilen am Rande Kölns auch fühlen sich viele Neubrücker von Politik und Verwaltung missachtet. Symbolhaft dafür steht die schon bei der Erbauung der Siedlung geplante und bis heute nicht vollzogene Stadtbahnanbindung. „Wer tut denn von der Stadt Köln was für uns?“ fragt Schrage ärgerlich und bemängelt das Fehlen einer ganzheitlichen Verwaltungsplanung, die dem stetigen Bevölkerungswachstum Rechnung trägt. „Wir Bürgervereine sind regelmäßig im Gespräch untereinander. Alle erzählen dasselbe.“ Einen „Stadtteilkümmerer und Sozialarbeiter“ würde sie sich wünschen. Und einen „Stadtteilhausmeister“, denn: „Um all diese praktischen Alltagprobleme können wir uns als Bürgerverein nicht auch noch allein kümmern.“

Tauchlehrerin Gaby Peters

„Eine Insel aus Hochhäusern umgeben von Bungalows”

Bei alledem bleibt Schrage keine Zeit für den lange schon geplanten Schulbesuch bei Gaby Peters. Dabei wäre der mit Sicherheit eine lohnende Abwechslung. „Dieses schwerelose Gefühl ist eine Sucht“, sagt Peters, die Tauchlehrerin. „Man schaltet wirklich ab. Da denkt kein Beamter mehr an seine Akten.“ Vermutlich sind auch Mitarbeiter der Stadtverwaltung Kunden der Schule, die seit einigen Jahren fernab jeden Tauchgrunds am Neubrücker Marktplatz ein Ladenlokal unterhält. „Hier machen wir die Theorie. Zur Praxis geht’s ins Schwimmbad oder in den Fühlinger See.“ Neubrück ist für sie „eine Insel aus Hochhäusern umgeben von Bungalows“. Noch schöner fände sie ihr Eiland allerdings, wäre es ein bisschen sauberer.

Künstlerin Ursula Sedlmayer

„Ich bin ein Fan von Neubrück”

Da gibt ihr Ursula Sedlmeyer recht. Trotz aller Unperfektheiten aber sieht sie keinen Grund, Trübsal zu blasen: „Ich bin ein Fan von Neubrück.“ Als kleines Mädchen wuchs sie hier auf, später kehrte sie mit Ehemann zurück in eines der Terrassenhäuser, die für den Baustil ihrer Entstehungszeit typisch sind. „Man hat hier alles vor der Tür, was man zum Leben braucht“, sagt die Künstlerin, die in den hellen Räumen genügend Licht und Platz für ihre großformatigen Gemälde und Assemblagen findet.

Wenn Sedlmeyer ein paar Wünsche für Neubrück frei hätte, fiele ihr dennoch was ein: „Ein gutes Restaurant zum Beispiel. Und ein Haus für die Kunst.“ Einstweilen hat sie den „Kreativtreff“ ins Leben gerufen: jeden ersten und dritten Dienstag im Monat. Wo? Natürlich im TIP.

Text: Sebastian Züger