Urige Kneipe in Köln-Höhenberg
Foto: Patrick Essex

Das Weimarer Stübchen – die Nachbarschafts-Dschunke

In dieser Rubrik findest Du Gastro-Tipps aus Deinem Veedel. Diesmal in unserem Kneipen-Special: Das Weimarer Stübchen, der zentrale Anlaufpunkt für die Bewohner der Germaniasiedlung in Köln-Höhenberg. Hier trifft sich alles, was Rang, Namen und Durst hat: vom Hartz-IV-Empfänger bis zum Politiker.

Adresse

Weimarer Straße 17, 51103 Köln-Höhenberg

Öffnungszeiten

10:30–00:00 Uhr

Kölsch

Reissdorf vom Fass, 1,30 €

Besonderheit

Neujährchen für Stammkunden

„In meiner aktiven Zeit war für mich hier immer Bürgersprechstunde“, erinnert sich Stephan Gatter. In seiner Eigenschaft als Landtagsabgeordneter stand der Höhenberger SPD-Politiker beim Feierabend-Kölsch seinen Wählern Rede und Antwort – ob er gerade wollte oder nicht. „Da musste man manchmal schon dazwischen gehen und sagen: Lasst den Mann mal in Ruhe!“ erinnert sich Bernhard Leber, der Betreiber des Weimarer Stübchens, den alle nur „Bernie“ nennen.

Heute ist das Ecklokal auf dem kleinen Platz in der Germaniasiedlung einfach nur noch Gatters Stammkneipe. 2017 – nach 17 Jahren im Landesparlament – trat er nicht mehr zur Wahl an. Wenn er jetzt von seiner Wohnung direkt gegenüber auf ein Kölsch herüberkommt, dann als Privatmann. „Hier trifft sich wirklich Jung und Alt“, schwärmt er. „Schau dich um: Hier sind drei Generationen zu Besuch.“ Er genießt das – als Gleicher unter Gleichen, der gern auch mal ein paar Cent in einen der beiden Spielautomaten wirft. Und der sich Sorgen macht, dass seine geliebte Nachbarschaftsdschunke ihn womöglich bald nicht mehr durch den Ruhestand trägt.

„In zwei Jahren bin ich 65“, rechnet sein Wirt vor. „Dann kann ich in Rente gehen. Mal schauen, ob ich dann noch Lust habe.“ Einen lustlosen Eindruck allerdings macht Bernie derzeit ganz und gar nicht. Der 1. FC Köln spielt gleich, die Bude füllt sich. Während er Gläser spült und Kölsch zapft, macht „Ela“ – eigentlich Michaela Weill-Höschel – eine Bockwurst servierfertig. „Ich bin hier von Anfang an dabei, also seit 2011, als der Bernie hier übernommen hat“, erzählt sie nebenbei. „Ich liebe es hier. Wenn der Bernie gehen will – komm’ eben ich!“ Größere Gerichte wird sie allerdings auch als Chefin nicht anbieten können. Bockwurst, Frikadellen, Mettbrötchen und Wurst-Käse-Salat sind die Standards, die die Konzession gestattet. „Was anderes darf ich nicht“, erklärt Bernie.

Gut, dass es wieder nach oben geht.
Sophia

Manfred und Sophia, seit 2004 in der Germaniasiedlung zuhause, sind ohnehin nicht zum Essen hier, das ist an ihren blütenweißen Trikots unschwer zu erkennen. Bei jedem Spiel des Effzeh stehen sie mit ihren Fan-Kollegen Rosie und Reinhardt am selben Tisch direkt unter dem Flatscreen an der Wand. „Ich war seit 1978 nicht mehr im Stadion“, sagt Reinhardt traurig und schimpft: „Wer soll das bezahlen?“ Gut, dass Bernie die Sky-Gebühren, die für Gastronomen um ein Vielfaches teuer sind als für Privatleute, berappt. Noch, denn: „Das ist höchstens ein Nullsummenspiel. Zwar kommen am Spieltag ein paar Leute mehr, aber das gleicht die Mehrkosten kaum aus.“ Gedanken, die sich Sophia nicht machen muss. Der Club ihres Herzen hat den Aufstieg in die Erste Bundesliga geschafft. „Liga zwei hat schon Spaß gemacht“, gibt sie zu. „Aber es ist gut, dass es wieder nach oben geht.“

Gäste wie die vier vom Effzeh-Stehtisch sind es, für die Bernie alljährlich „Neujährchen“ kauft – kleine Geschenke zum neuen Jahr, die die Freundschaft und damit die Treue zur Kneipe erhalten sollen. Diesmal verteilte er 200 Einkaufstaschen, in anderen Jahren gab es Taschenlampen oder Kugelschreiber mit Gummi-Ende für den Gebrauch am Handy-Touchscreen. Die Sparvereine – große Blechkästen an der Wand mit dutzenden Schlitzen für Kleingeld – sind ein Zeichen dafür, dass sich die Gäste nicht nur wegen solche Geschenke mit ihrem Stübchen verbunden fühlen. „Wir haben hier sogar zwei“, erklärt Gatter. „Einen für Sommer, einen für Winter. Das zeigt, dass der Laden läuft.“

Was einen guten Wirt ausmacht? „Keine Ahnung“, kokettiert Bernie. „Ich bin einfach nur Wirt.“ Einer, der immer schon eine richtig kölsche Eckkneipe machen wollte, denn von denen gebe es nicht mehr allzu viele. „Dass in der näheren Umgebung ein Laden nach dem anderen zugemacht hat, das hilft uns jetzt.“ Auch ohne Hilfe von außen kommt der gebürtige Hamburger, der sich in seinen Kölner Jahren das „Schwaade“ ganz gut angeeignet hat, gegenwärtig gut zurecht. „Ich hab’ eben gutes Personal“, sagt er ganz ohne Ironie. Und treue Gäste, die mit ihm in den Mai tanzen, Heilig Abend zelebrieren („Mit Buffet auf Kosten des Hauses“) und Karneval feiern.

Seit bald vier Jahrzehnten gibt es die Kneipe im Quartier. Vorher nutzte ein Gemüseverkäufer das Lokal – und danach? „Das Weimarer Stübchen muss bleiben“, fordert Gatter ultimativ, auch und gerade weil es den „Lohntüten-Ball“, der früher die Kneipen am Leben hielt, nicht mehr gebe: „Die Kneipe hält die Nachbarschaft zusammen.“ Und umgekehrt: „Ich lebe von der Siedlung“, sagt Bernie. „Viele haben sich gefreut, dass es wieder einen funktionierenden Kneipenbetrieb gab, als ich 2011 aufgemacht habe.“ Zwei Wochen Renovierungsarbeiten mit fünf Mann seien nötig gewesen, um den Raum wieder flott zu kriegen, danach hätten ihm „Freunde aufs Pferd geholfen“, um die schwierige Anfangszeit zu überstehen. „Es hat ein bisschen gedauert, bis wir uns rumgesprochen haben“, erinnert er sich. „Aber die meisten von denen, die kamen, blieben dann auch.“

Text: Sebastian Züger