Leben und Wohnen im Kölner Veedel Stammheim
Foto: Thilo Schmülgen

Stammheim. Eine Extraportion Natur.

In dieser Rubrik betrachten wir das Leben und Wohnen in Köln. Im rechtsrheinischen Norden, zwischen B8 und dem Rheinufer, kommt Köln zur Ruhe. In Stammheim. Doch die Großstadt ist nicht weit.

Unglaublich, wie ruhig es hier ist. Auf der B8 Richtung Leverkusen hängen die Autos zwar Stoßstange an Stoßstange, doch das Brummen der Motoren trägt nicht bis in die dörflichen Sträßchen und Gassen. Und auf der anderen Seite, am Rhein, tummeln sich Erholungssuchende zu Fuß oder mit dem Rad auf dem Uferweg eher in Zimmerlautstärke.

So kommt es, dass sich im Herzen Stammheims an diesem ganz gewöhnlichen Wochentagsnachmittag kaum ein Mucks tut. Am ökumenischen Café Lichtblick vorbei schiebt eine Mutter einen Kinderwagen, eine ältere Dame zieht einen Hackenporsche ins Ladenlokal der Bäckerei Förster – das war es. Bis am Himmel ein Airbus die fast magische Stille durchbricht. Dass es im rechtsrheinischen Süden einen Flughafen gibt, das ist schon hier, im Norden, nicht zu überhören.

Veedelsurgestein Hajo Bauer

„Wir sind ja hier der Arsch vun Kölle“

Stammheim? Bei vielen Menschen klingelt da was. Saßen dort in den 1970er Jahren nicht die Anführer der RAF ein, der Rote Armee Fraktion? Stimmt, das allerdings war in Stuttgart-Stammheim. Dass Köln einen Ortsteil selben Namens hat, ist vielen Einheimischen kaum bewusst. Das jedenfalls ergab eine nicht-repräsentative Umfrage im Vorfeld dieses Beitrags, und das ist auch der Eindruck, den das Veedelsurgestein Hajo Bauer über viele Jahrzehnte gewonnen hat.

Köln-Stammheim hat keinen Hochsicherheitsknast, dafür aber ein Großklärwerk, laut Online-Selbstauskunft das „mit Abstand größte“ in Köln. Immerhin: ein Superlativ. Für Bauer ist deshalb klar: „Wir sind ja hier der Arsch vun Kölle.“ Er lächelt dabei. Er meint das nicht so böse, wie es klingt, sonst wäre er wohl kaum Zeit seines Lebens geblieben.

Mitte der 1970er Jahre übernahm er die Leitung der Offenen Tür St. John, der neu gegründeten Kinder- und Jugendeinrichtung im Stadtteil. „Da habe ich gelernt, wie man mit den Leuten von der Verwaltung zusammenarbeitet.“ Dieses Wissen nutzt ihm seit 2013 als Mitorganisator der „Stammheimer Kulturmeile“, bei der Läden, Ateliers und Gelegenheitslocations wieder Kunst, Kultur und Livemusik ins Veedel bringen. In guten Zeiten nahmen mehr als tausend Interessierte die Einladung an.

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Vielleicht bringt sie ja schon die neue Fähre? Im Zeichen der allgemein angepeilten Verkehrswende hat die alte Idee, den Rhein stärker als bisher als Wasserstraße für den Personentransport zu nutzen, wieder Rückenwind. Bis 1967 verkehrte bereits ein Schiff zwischen Stammheim und Niehl. Mehrere Bürgervereine haben sich jetzt zu einer Fährinitiative zusammengetan.

Dass solche bürgerschaftlichen Initiativen Dinge in Bewegung bringen können, weiß man in Stammheim. Das Veedel verfügt über ein funktionierendes Vereinsleben, geprägt vom TuS und von den Schützen, die alljährlich den „Tanz um die Linde“ veranstalten. „Als ich klein war, musste der Bus von der KVB noch um den großen Baum im Dorf herumfahren“, erinnert sich Bauer. Heute wird die Linde für das vorörtliche Großereignis auf den Boden gepinselt.

Günter Seiffert von der Naturstation

„Wir haben zwei Investoren, die würden gern loslegen“

Solche Behelfsaktionen hat Günter Seiffert nicht nötig. Seine Naturstation – eine Kooperation der Bürgervereine Stammheim und Flittard am Rande des Schossparks –strotzt geradezu vor Baumbestand. Im Schatten der riesigen Kirsche vor den Werkgaragen ackert immer mittwochs ein rundes Dutzend freiwillige Helfer in Blumen- und Gemüsebeeten. Die 17.000 m2 wollen gepflegt werden, damit sich außer Kinder- und Jugendgruppen, die hier regelmäßig ihre Extraportion Natur bekommen, auch die ansässigen Honigbienen wohlfühlen.

Während es hier grünt und blüht, vergammelt nebenan das Ulrich-Haberland-Haus. Der mondäne Baukomplex aus den 1950er Jahren, der erst als Senioren-, dann als Studierendenresidenz diente und heute beliebte Anlaufstelle für Pokémon-Jäger ist, wartet seit 2000 in bester Lage auf eine neue Nutzung.

Seiffert berichtet von aktuellen Plänen, dort ein Seminarhotel mit Außengastronomie, eine Kita und Therapiepraxen unterzubringen. „Wir haben zwei Investoren, die würden gern loslegen“, sagt er. „Die Bauvoranfrage liegt bei der Verwaltung.“ Unterdessen haben Einbrecher die Kabellage geklaut. Seither ist nicht nur das Haberland-Haus, sondern auch die bisher dort angeschlossene Naturstation ohne Strom.

Restauratorin Sonja Fröhlich

„Hier haben die Kinder Platz zum Spielen“

„So ein Café im Schlosspark – das würde bombenmäßig laufen“, glaubt Sonja Fröhlich. Die Restauratorin lebt seit sechs Jahren mit Mann und Tochter in Stammheim und empfindet die gastronomische Vielfalt im Veedel als ausbaufähig: „Alles ziemlich fleischlastig hier.“ Davon abgesehen aber fühlt sich die gebürtige Pfälzerin pudelwohl. „Wer sich einbringt, lernt Leute kennen und schafft sich eine Heimat.“ Dem pulsierenden Leben in der Südstadt, wo sie zuvor lebte, weint sie nicht nach. „Hier haben die Kinder Platz zum Spielen. Und ich ein Haus mit Garten, in dem ich mich austoben kann.“

So gesehen ist Stammheim also die neue Premiumlage in Köln. Aber psst, nicht weitersagen. Sonst ist es mit der Ruhe schnell vorbei.

Text: Sebastian Züger