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Schreib uns!In dieser Rubrik gehen wir zusammen auf Entdeckungstour durch Köln. Diesmal zeigen wir Dir Köln von unten und besichtigen das Römergrab in Weiden.
Aachener Str. 1328, 50859 Köln
Eintritt 5 €, ermäßigt 3,50 € – nur Barzahlung möglich
Preußisches Baudenkmal und antike Stätte
Auf der Website vom Förderverein Römergrab Weiden e.V. kannst Du Dich für Führungen anmelden
Große Augen, ein langer, gerader Nasenrücken, darunter sinnlich geschwungene Lippen, die einen entschlossenen Zug haben: Der junge Mann, den ein Hauch von Melancholie umweht, ist durchaus attraktiv – leider jedoch tot. Verstorben ist er vor rund zweitausend Jahren. Dass wir uns heute dennoch so ein genaues Bild von ihm machen können, liegt daran, dass seine trauernden Angehörigen sein Antlitz in einer Marmorbüste verewigen ließen. Die kann man heute genau dort ansehen, wo er bestattet wurde und mit ziemlicher Sicherheit auch wohnte, nämlich an der einstigen Via Belgica. Via bedeutet so viel wie Straße – und die Via Belgica ist auch heute noch eine große Straße in Köln und uns Menschen des 21. Jahrhunderts als Aachener Straße bekannt.
Schauplatz ist das Grundstück mit der Hausnummer 1328 – hier befindet sich die römische Grabkammer. Sie ist gleich in doppelter Hinsicht ein Stück Geschichte. Zum einen illustriert sie das Leben in der Antike, zum anderen ist sie aber auch ein Stück preußisches Kulturerbe. Das wiederum hat mit der Entdeckung der Grabkammer im 19. Jahrhundert zu tun.
Seit jeher hat die Vorstellung, in der Erde zu graben und einen Schatz zu finden, etwas Märchenhaftes. Dass sie in Köln bisweilen Wirklichkeit wird, liegt an der langen, wechselhaften Geschichte der Stadt. Wann immer sich die politischen Verhältnisse gravierend veränderten, zeichnete sich das über kurz oder lang auch im Stadtbild ab. Neue Eliten und andere Menschen beanspruchten neue, eigene Bauten, während viele der alten Häuser und Paläste dem Erdboden gleichgemacht wurden. Und der verschluckte dabei oft so manches Kleinod, das viele Jahrhunderte später erst wiederentdeckt wurde.
So auch 1843, als der Fuhrmann Ferdinand Sieger beim Bau einer Lagerhalle tief im Erdreich auf eine steinerne Türplatte stieß, die er kurzerhand zerschlug. Persönlich war er von der Entdeckung dahinter ziemlich enttäuscht, denn hier verbarg sich zunächst nur Schutt. Umso begeisterter waren dafür seine geschichtsinteressierten Zeitgenossen – unter ihnen König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Nach Entfernung und sorgfältiger Sichtung des Schutts zeigte sich nämlich, dass hier eine gut erhaltene römische Grabkammer war. Im Schutt fanden sich drei Büsten, die Fragmente eines reich verzierten Marmorsarkophages, Grabbeigaben und zwei Sessel aus Kalkstein, welche detailgetreue Kopien korbgeflochtener Sitzmöbel sind, die Ende des zweiten Jahrhunderts nach Christus in römischen Haushalten beliebt waren.
Archäologie-Professor Heinz Günter Horn führt uns hinab in das Römergrab. Hier gibt es Wände aus bräunlichem Tuffstein, die mit ihren halb ovalen Einbuchtungen fast an ein Regal erinnern, und tatsächlich hatten die Nischen einen entsprechenden Zweck: Hier standen einst Öllampen, die den Raum erhellen sollten. Außerdem legten die Römer dort die Totengaben ab, mit denen sie ihre Lieben im Jenseits und auf der Reise dortin erfreuen wollten. An drei Seiten der Kammer sind Ruhebetten in den Stein eingearbeitet, sogenannte Klinen mit Auflagen aus dunklem Namyrer Kohlenkalk. „Das entspricht dem römischen Triclinium, dem Speisezimmer“, erklärt Horn: „Man lag nämlich in römischer Zeit zu Tisch.“ Auch in der Antike waren gemeinsames Essen und Trinken ein Ausdruck von Verbundenheit. Ein unterirdisches Speisezimmer für geliebte Verstorbene setzt diesen Gedanken fort. Aber wo waren sie eigentlich, die Verstorbenen? „Vermutlich standen auf dem Boden Urnen mit dem Leichenbrand“, sagt Horn.
Der Sarkophag hingegen dürfte ursprünglich eine Etage weiter oben gestanden haben: Er ist nämlich – nunmehr wieder zusammengesetzt – breiter als das schmale Portal, durch das man über eine Treppe in die Grabkammer gelangt. Archäologen gehen auch davon aus, dass über der Grabkammer ein kleiner Tempel stand, der die Zeit nicht überdauerte: „Im Mittelalter gab es den Steinraub. Steine wurden entwendet und für neue Bauwerke genutzt“, berichtet Professor Horn. Später stürzte auch das Tonnengewölbe der unterirdischen Kammer ein. So fand man sie dann im 19. Jahrhundert vor.
Der kleine, dreischiffige Schutzbau, der heute über dem historischen Grab steht, wurde von keinem Geringeren errichtet als Ernst Friedrich Zwirner, dem damaligen Kölner Dombaumeister. Er war eigentlich dem damaligen Kölner Dombaumeister. Er war eigentlich mit dem Weiterbau des Kölner Doms beauftragt, dessen Vollendung nach über 600 Jahren 1880 er allerdings nicht mehr erlebte. Zwirner konzipierte das kleine Bauwerk im neoromanischen Stil. Im Zentrum stehen vier Pfeiler, in deren Mitte ein Lichtschacht ist, durch den Tageslicht in den unterirdischen Raum fällt. Das ist ein neuzeitliches Zugeständnis an geschichtsinteressierte Besucher: „Zu römischen Zeiten war es da unten stockduster“, berichtet Horn.
Um die Grabkammer vor Plünderei zu schützen, sie aber dennoch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurde neben dem Schutzbau ein Wohnhaus errichtet. Wer hier lebte, übernahm die Funktion eines „Hausmeisters“, der auf Nachfrage die antiken Räumlichkeiten öffnete und zeigte. „Das alles ist ein Denkmal-Ensemble des 19.Jahrhunderts, das zugleich ein antikes Zeugnis schützt und ihm einen in dieser Form europaweit einzigartigen Rahmen gibt“, erklärt Horn die Besonderheit der gesamten Stätte.
Horn ist übrigens Vorsitzender des Fördervereins Römergrab Weiden e.V. und widmet sich seit vielen Jahren der Pflege dieses außergewöhnlichen Bau- und Bodendenkmals. „Die Kölner interessierten sich lange wenig für die Grabkammer. Das Haus war verwohnt und seine Bewohner kamen ihren Verpflichtungen nicht sonderlich verlässlich nach“, schildert Horn. Er selbst hatte lange schon eine Vision davon, wie der Ort einmal aussehen könnte. Lange nach seiner Pensionierung Ende 2005 ging er an die Umsetzung, gründete 2017 mit Gleichgesinnten den Verein und schaffte es, schon im ersten Jahr 250.000 Euro Spendengelder für sein Projekt zu sammeln.
Inzwischen ist das ehemalige Wohnhaus denkmalgerecht saniert und beherbergt eine kleine Ausstellung mit Informationstafeln über das römische Köln und sein Umland sowie einige erhaltene Fundstücke. Alles ist liebevoll mit vielen Details aufbereitet – so klebt zum Beispiel am Fenster zur Aachener Straße eine Folie, die den Blick auf die damalige Via Belgica darstellt, mit Ochsenkarren, Soldaten, Händlern, Bauernvolk und ihrem Vieh auf dem Weg zum Markt in der nahen Stadt. Audio-Stationen geben einen lebendigen Eindruck, eine wurde von Schauspielerin Mariele Millowitsch und Kabarettist Jürgen Becker besprochen. Für Sehbehinderte gibt es eine aufwändige Miniatur der Grabkammer, die das Erkunden durch Abtasten möglich macht.
Ein Brückenschlag von den Menschen der Antike zum Heute wurde ebenfalls nicht vergessen, ist doch der Tod eines geliebten Angehörigen heute ebenso einschneidend wie damals. Eine Wand im Informationsbereich, an der Besucher auf Klebezetteln Erinnerungen an Verstorbene notieren können, trägt diesem Umstand Rechnung. „Liebe Oma, du warst sehr lieb aber es ist schade das du meiner erstkomminion nicht erlebt hast“, steht da zum Beispiel mit ein paar kleinen Rechtschreibfehlern in Kinderschrift. Oder: „Ich vergesse dich nie. Deine Mama.“
Bei seinen Führungen erklärt Horn zunächst in den oberirdischen Räumen die Hintergründe des römischen Lebens, bevor anschließend die Besucher das Allerheiligste der Einrichtung selbst entdecken dürfen. Nach reiflicher Überlegung entschied sich der Verein dagegen, Bereiche der Kammer mit Seilen oder Glaswänden abzusperren. Jeder Teilnehmer einer Führung kann die römischen Originale aus nächster Nähe sehen. „Der Sarkophag stammt vermutlich aus der Zeit um 300 nach Christus. Damals waren Körperbestattungen üblich. Die ganze Grabkammer ist vermutlich 150 Jahre älter. Da verbrannten die Römer ihre Toten noch“, erklärt Horn.
Der Archäologe weiß die Stücke nicht nur zu datieren, sondern erklärt auch Beobachtungen, die schmunzeln lassen. Das betrifft eine der zwei Frauenbüsten, deren Frisur ein wenig verdrückt zu sein scheint. Horn verrät, dass Insider an der Kleidung erkennen können, dass diese Marmorbüste ursprünglich eine Hetäre darstellte, eine Art Edelprostituierte. Sie stand vermutlich ursprünglich einmal als Schmuckstück im Hause des wohlhabenden Gutbesitzers. Als dann ein Mitglied der Familie starb, wurde sie wohl kurzerhand umfunktioniert, die hoch aufgesteckte Frisur, die ein Merkmal der Hetären war, wurde ziemlich ungeschickt umgearbeitet. Zudem wurde ihr Gesicht dem Porträt der Verstorbenen angepasst, damit sie für die Nachwelt in Erinnerung blieb. Bisweilen, aber das weiß man ja, konnten die Römer nämlich ganz schön praktisch veranlagt sein.
Text: Johanna Tüntsch