In dieser Rubrik gehen wir zusammen auf Entdeckungstour durch Köln. Wir begeben uns wieder einmal unter die Erde und besichtigen Köln von unten: Die U-Bahn-Haltestelle Kalk Post verbirgt hinter unauffälligen Stahltüren eine technische Ausstattung aus der Zeit des Kalten Kriegs, mit der die gesamte Haltestelle zu einer Schutzanlage umgewandelt werden kann.
Robertstr. 2, 51103 Köln (U-Bahn-Haltestelle Kalk Post)
Um Spenden wird gebeten
Schutzanlage aus der Zeit des Kalten Krieges
Auf der Website welt.unter.koeln kannst Du Dich für Führungen anmelden
Die Stahltüren öffnen sich und unsere Führung beginnt in einem Raum, der auf den ersten Blick zumindest eines mit einem Schullandheim gemein hat: Im hinteren Bereich stehen Stockbetten, und zwar nicht mit den üblichen zwei, sondern gleich mit vier Etagen übereinander. Ein paar Jungs in unserer Besuchergruppe schnappen sich die obersten Plätze und schaukeln unternehmungslustig mit den Beinen.
„Da sitzt ihr schon sehr gut“, sagt Robert Schwienbacher vom Verein Dokumentationsstätte Kalter Krieg, DOKK. Ungefähr so sei es gedacht gewesen, als 1979 die unterirdische Schutzanlage gebaut wurde: Für jeden potenziellen Besucher gab es einen Sitzplatz, der in den Nachtstunden notdürftig zum Liegen genutzt werden konnte.
Alles in diesem Schutzraum war ausgelegt für eine Nutzungsdauer von 14 Tagen. Wie es danach weitergehen sollte? Das wusste niemand. Womöglich hätte man mit dieser Anlage nicht mehr vermocht, als den qualvollen Tod durch atomare Strahlung zwei Wochen hinauszuzögern.
Diese Schutzanlage ist der sogenannte „Atombunker“. In den U-Bahn-Stationen in Kalk und am Rudolfplatz gab es die beiden einzigen öffentliche Kölner Schutzanlagen, die während des Kalten Krieges für die Bevölkerung errichtet wurden. Indem die Tunnelenden und die Eingänge zur Station mit schweren Panzertoren verschlossen worden wären, hätte man für eine kleine Zahl von Kölnern eine Notunterkunft geschaffen.
In der Öffentlichkeit sorgten die Bauten eher für Skepsis als für Beruhigung. „Wer schließt die Bunkertüren?“, fragte zum Beispiel der Kölner Stadt-Anzeiger damals und legte damit den Finger in die Wunde. Schließlich konnte man schlecht davon ausgehen, dass bei einem möglichen Atomangriff zufällig gerade sachkundige Passanten zugegen wären, die anderen in die Anlage halfen, diese dann strahlensicher von außen abriegelten und selbst ungeschützt der atomaren Katastrophe entgegengehen würden. „Einige Fragen bleiben offen. Das liegt nicht an unserer schlechten Recherche, sondern daran, dass man damals tatsächlich nicht für alles eine Lösung hatte“, sagt Schwienbacher.
In der Theorie sah der Plan so aus: Knapp 2.400 Menschen hätten in der Schutzanlage, zu der die U-Bahn-Haltestelle „Kalk Post“ umfunktioniert worden wäre, Unterschlupf gefunden. Ohne Weiteres wäre diese freilich nicht einsatzbereit gewesen, sondern erst nach einer Vorbereitungszeit von etwa zwei Wochen. Aber man ging damals davon aus, dass sich ein nuklearer Angriff mit entsprechender Vorlaufzeit ankündigen würde.
Ein Raum von etwa 20 Quadratmetern war als Lebensmittellager vorgesehen, das mit „Einmannpackungen“ (EPA) gefüllt werden sollte. Martina Schwienbacher präsentiert eine von ihnen. In einer Pappschachtel, die in ihrer Größe nicht ganz einem Schuhkarton entspricht, stecken vakuumverpackt Hartkekse, Mahlzeiten wie Nudeln in Soße und Grießbrei. Pro Person ein Pack für zwei Tage, so war die Rechnung. Für besonderen Bedarf, etwa das Zubereiten von Babynahrung, hätte es auch eine Notküche gegeben: ähnlich groß wie das Lebensmittellager und somit kläglich anzusehen beim Gedanken an die Versorgung von 2.400 Menschen – aber wohlmeinend mit drei einsamen Pril-Blumen dekoriert. Auch eine Krankenstation für Notfälle war eingerichtet worden.
Mit 2.500 m² für 2.400 Personen war die Fläche alles andere als großzügig bemessen. Die Zwischenebene, auf der heute Pendler und Schüler an einem Kiosk vorbei zu den Bahnen laufen, auch die Bahnsteige selbst – alles hätte voll mit Stockbetten gestanden. Selbst Sitzplätze in abgestellten Straßenbahnen sowie mögliche Liegeplätze auf dem Boden dieser Fahrzeuge waren in die Berechnungen einbezogen. „Bei der Nacht der Museen, wenn sich hier bis zu 1.000 Besucher durchschieben, ist es schon voll genug. Wie es im Ernstfall hier ausgesehen hätte, will ich mir gar nicht ausmalen“, sagt Martina Schwienbacher, die als Mitglied des Vereins DOKK regelmäßig Besucher durch die Tunnelgänge und Räume führt.
In der Kalker Anlage war mit zwei riesigen Wassertanks dafür gesorgt, dass man nicht hätte verdursten müssen. Auch Toiletten mit Spülung gab es, deren Inhalt auf die Kalker Hauptstraße geleitet worden wäre. Und für die Frischluftzufuhr sorgten zwei immer noch sichtbare Aufbauten, die mit Sand- und Aktivkohlefiltern ausgestattet waren, damit ABC-Giftstoffe nicht in die Anlage eindringen konnten.
Trotzdem möchte man in dieser Anlage nicht einmal zwei Tage lang mit seinen besten Freunden eingeschlossen sein – geschweige denn, zwei Wochen lang mit 2.400 Fremden ausharren. Und doch gibt es Menschen, die bei solchen Führungen auf ganz andere Gedanken kommen: „Wir wurden bei Führungen schon gefragt, ob das hier nicht als Flüchtlingsunterkunft in Frage käme“, sagt Martina Schwienbacher und fügt entschieden hinzu: „Nein. Das ist wirklich unzumutbar.“
Je nach Wetter sind die Räumlichkeiten winterlich kalt oder sommerlich warm. Im Fall eines nuklearen Angriffs wäre es hier unten immer warm gewesen. Aber nicht etwa wegen der Außentemperatur von bis zu 200 Grad Celsius, die nach einem Angriff zu erwarten gewesen wäre; die Anlage so konzipiert, dass sie diese Hitze nach innen hin hätte herunterkühlen können. Nein, Wärme hätten vielmehr der Dieselmotor, der den Generator für die Stromerzeugung antrieb, und die Menschen selbst erzeugt. Bei mindestens 29 Grad hätten die 2.400 Männer, Frauen und Kinder nebeneinander gelegen und gehockt, bis nach genau zwei Wochen der Dieselvorrat zu Ende gewesen wäre. Ob der Weg nach draußen nach dieser Zeitspanne unbedenklich gewesen wäre? Man kann nur spekulieren.
Der unterirdische Bau war übrigens nicht etwa vorrangig für Anwohner konzipiert, sondern für Menschen auf der Durchreise. Wer zu Hause war, sollte möglichst im eigenen Atom-Schutzraum Zuflucht suchen. Im eigenen Atom-Schutzraum? Tatsächlich: In Zeiten des Kalten Krieges gab es öffentliche Fördermittel für den hauseigenen Schutzbau. Robert Schwienbacher zeigt eine historische Anzeige: Während die Mutter im farbenfrohen 70er-Jahre-Pullover neben dem Vater am Tisch sitzt und strickt, liegen die Kinder plaudernd auf ihren Betten – ein absolut verharmlosendes Szenario.
Heute ist die U-Bahn-Station in Kalk nicht mehr als Schutzanlage nutzbar. Entgegen ihres umgangssprachlichen Namens „Atombunker“ ist sie übrigens kein Bunker, so Robert Schwienbacher. Ein Bunker ist nämlich dafür gebaut, einen Bombenangriff in unmittelbarer Nähe zu überstehen. Die Kalker Tunnelräume hätten nur dann geholfen, wenn eine Detonation mindestens 20 Kilometer entfernt erfolgt wäre. Und darin lag schon der erste Denkfehler: Inzwischen ist nämlich bekannt, dass im Ernstfall höchstwahrscheinlich auch Köln selbst das Ziel direkter atomarer Angriffe geworden wäre.
Text: Johanna Tüntsch
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