Leben und Wohnen im Kölner Veedel Ehrenfeld
Foto: Thilo Schmülgen

Ehrenfeld. Nicht schön, aber menschlich.

In dieser Rubrik betrachten wir das Leben und Wohnen in Köln. Kaum ein Stadtteil ist so bunt und vielschichtig wie das frühere Industrie- und Arbeiterviertel Ehrenfeld. Altes und Neues und die gesamte Bandbreite dazwischen – Ehrenfeld ist voller Facetten, Widersprüche und Überraschungen.

Schriftsteller Stefan Winges

„ ... die nicht in die Südstadt passen”

Vieles lässt sich sagen über Ehrenfeld: Dass hier Tag und Nacht das Leben pulsiert, dass auf seinen gerade mal 3,7 Quadratkilometern die ganze Welt zusammen kommt, dass sich die kölsche Seele wohl nirgendwo sonst so bunt entfaltet wie hier zwischen den alten Industriefassaden, dass also in diesem Mikrokosmos all das am lebenden Objekt zu beobachten ist, was in Meckpom allenfalls in der Zeitung steht: Integrationsbemühen, Babyboom und Wohnungsnot, Flüchtlingschaos und Willkommenskultur. Nur eins, eins lässt sich wirklich nicht behaupten: Dass Ehrenfeld besonders schön sei.

Außer vielleicht, wenn die Sonne scheint wie in diesen kaum enden wollenden Spätsommertagen des Jahres 2016. Die Lichtstrahlen schlüpfen bis unters niedrige Dach der „Schule für asiatische Kampfkunst“, in der uns Stefan Winges erwartet. Der „Ehrenfeld-Blues“, wie der ausgezeichnete Krimiautor seinen im November 2016 erschienenen siebten Roman betitelt hat, macht heute Pause. Mitte der 80er Jahre kam der gebürtige Mönchengladbacher aus Bonn: „Ich wollte mal in einer richtigen Großstadt wohnen.“ Sein Kampfsportverein zog kurz darauf hinterher, und so findet Winges seither zwischen Stamm- und Vogelsanger Straße alles, was er braucht: seinen Sport, sein Umfeld, seinen Schreibtisch und dazu Kultur, Unterhaltung und Inspiration. Ehrenfeld biete bei aller Enge Raum für „spinnerte Leute“, sagt Winges, solche, „die nicht in die Südstadt passen“. Ein echter Ehrenfelder sollte imstande sein, das als Kompliment zu begreifen.

Bezirksbürgermeister Josef Wirges

„Ich hab’ hier Laufen gelernt...“

Ein echter Ehrenfelder ist – wer wollte das bestreiten? – Josef Wirges, Bezirksbürgermeister seit 1997. „Ich hab’ hier Laufen gelernt, ich hab’ die Wandlung vom Arbeiter- zum Dienstleister-Stadtteil miterlebt, ich bin hier seit 63 Jahren und wollte nie woanders hin.” In seine Amtszeit fallen der Streit um die noch immer nicht ganz fertig gestellte Großmoschee („Da spuckten Leute ihren Hass aus”) und die Auseinandersetzung um das Heliosgelände, auf dem jetzt anstelle des ursprünglich geplanten Einkaufszentrums eine integrierte Schule entsteht. „Das ist ein großartiges Beispiel für erfolgreiches Bürgerengagement”, sagt Wirges. „Alles Leute aus dem Viertel. Die haben gekämpft, bis der Investor ein Einsehen hatte.”

Doch die Sorgen werden nicht kleiner. Die schleichende Gentrifizierung, steigende Mieten und die Flüchtlingsfrage treiben die Spaltung der Gesellschaft voran. Im dicht besiedelten Ehrenfeld, dessen rund 37.000 Einwohner gerade 1.000 Flüchtlinge aufgenommen haben, sind die großen Veränderungen im Kleinen zu beobachten. „Wir müssen gegensteuern, zum Beispiel mit preiswertem Wohnraum.” Auf dem alten Bahngelände im Norden wächst ein neues Veedel mit frei finanziertem und gefördertem Wohnraum. „Ehrenfeld darf nicht Lindenthal werden”, sagt Wirges. „Und das wird’s auch nicht.”

Leben und Wohnen im Kölner Veedel Ehrenfeld
Foto: Thilo Schmülgen
Leben und Wohnen im Kölner Veedel Ehrenfeld
Foto: Thilo Schmülgen
Leben und Wohnen im Kölner Veedel Ehrenfeld
Foto: Thilo Schmülgen
Leben und Wohnen im Kölner Veedel Ehrenfeld
Foto: Thilo Schmülgen
Dr. Robert Fuchs Wissenschaftler

„Jeder Jeck ist eben anders“

Auch Dr. Robert Fuchs sieht die Gesellschaft gespalten: „Die einen sind offen für Migration, die anderen komplett dagegen.” Fuchs arbeitet am DOMiD e.V. als Projektleiter eines geplanten Migrationsmuseum. Das „Dokumentationszentrum und Museum über Migration in Deutschland” wurde 1990 von türkischstämmigen Einwanderern gegründet und befindet sich im Bezirksrathaus drei Stockwerke über Wirges’ Büro. Ein geradezu idealer Standort: „Migration ist hier Normalität”, sagt Fuchs. Er sieht das Veedel als Idealbeispiel einer kosmopolitischen Stadt: „Der Alltag ist geprägt von Begegnungen unterschiedlicher Hintergründe und Haltungen.” Jeder Jeck ist eben anders. Diese Weisheit muss von hier stammen. Und es ist keineswegs nur die Herkunft, die den Unterschied macht. In Ehrenfeld ist diese Gewissheit seit Generationen gelebte Realität.

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Schauspielerin Camilla Renschke

„Man schraubt die Ansprüche runter, um hier wohnen zu können“

Vorm Café Schamong, Kölns – laut Eigenwerbung – „älteste Kaffeerösterei” , sitzt Camilla Renschke, im Hauptberuf Tochter der Bremer „Tatort“-Kommissarin Inga Lürsen und Stimme von 1LIVE. Mit Freund und 9-jährigem Sohn („Ich bin eine Soccer-Mum”) lebt die gebürtige Südstädterin ein sehr zeitgemäßes Leben: Miete statt Eigenheim, Zug statt Auto, Carsharing, Fahrradsharing, Klamottensharing. Kein Scherz: „Bei der Kleiderei zahle ich 25 Euro im Monat und kann mir bis zu vier Teile gleichzeitig ausleihen.” Im „Sonic Ballroom” tanzt sie Lindy Hop, im „Carl Hermann’s” isst sie Burger, und dass sie von ihrem Balkon keine Aussicht auf den Rhein hat, stört sie nicht: „Man schraubt die Ansprüche runter, um hier wohnen zu können. Wir lachen darüber, dass unsere Stadt so hässlich ist.”

Der Grund, weshalb Ehrenfeld so ganz besonders lebenswert ist, ist nicht seine Schönheit – es sind die Menschen. „Ich bin oft in Berlin und anderswo. Die Chance, auf die Frage nach dem Weg eine nette Antwort zu bekommen, ist nirgends höher als bei uns.”

Text: Sebastian Züger